Die große Resignation

Ich war die letzten beiden Tage mal wieder auf einer Entwickler-Konferenz, dem DevFest. Mein Fazit: Es war eine Katastrophe!

An- und Abfahrt

Fangen wir an mit der Fahrt zur Location:
Ich war der einzige Mensch, den ich am Bahnhof oder in der Bahn gesehen habe, der eine Maske trug. Aktuell haben wir mal wieder die höchsten Corona-Infektionszahlen, die wir je hatten. Impfungen? Sind kaum möglich, die Ärzte haben keine Lust, die Apotheken fühlen sich nur selten zuständig. Aber es ist den Menschen egal geworden.

Wenn wir schon mal bei der Fahrt sind:
Auf der Rückfahrt saß ich in der S-Bahn vom Berliner Tor nach Wedel. In Blankenese endete die Bahn ohne aussagekräftige Ansage. Die Anzeigen zeigten auch keine weiteren Züge mehr nach Wedel an. Wir reden hier von 18:30 Uhr an einem Freitag, also Berufsverkehrszeit. Keine Informationen in der HVV-App oder in den sozialen Medien. Wildes Achselzucken bei allen Beteiligten. Es ist den Menschen einfach egal geworden.

Kontakte und Gespräche

Zurück zur Veranstaltung.
Meine Erwartung war, dass ich endlich mal wieder ein paar gute Entwickler treffe, die tolle technische Talks halten. Ich erwartete, mal wieder etwas dazulernen zu können und mich zwischen den Talks mit interessanten neuen Menschen austauschen zu können.

Die Sache mit dem „neu“ ist dabei allerdings irgendwie problematisch gewesen. Wie sagte ein ehemaliger Arbeitskollege gestern so schön: „Ich habe mich hier gefühlt wie ein Geist – du möchtest dich mit den Menschen unterhalten und sie sehen weg“. Das spiegelte exakt meine Erfahrung wider und Menschen, die mich persönlich kennen, wissen, dass ich mit jedem Menschen quatschen kann. Ich scheue wahrlich keinen Unterhaltungsbeginn.

Eigentlich ist ja auch genau dieser Austausch der Grund, überhaupt auf so eine Veranstaltung zu gehen. Aber das war unmöglich, lag aber nicht an der Zielgruppe. Ich hab schon auf deutlich nerdigeren Veranstaltungen interessante Leute kennengelernt. Irgendwas™ hat aber dafür gesorgt, dass die soziale Distanz zu anderen Menschen inzwischen eine unüberwindbare Schlucht ist. Ich glaube: gute Kontakte sind den Menschen egal geworden. Und das, obwohl man sein Netzwerk aufbauen sollte, wenn man es nicht braucht und nicht erst, wenn es zu spät ist und man dringend eins benötigt.

Die Talks

Hier kommen wir zum kritischen Teil.
Natürlich ist es nicht leicht, den Geschmack aller Anwesenden zu treffen. Das verlangt auch niemand. Aber wenn Talks für eine Entwickler-Konferenz eingereicht werden, sollten sie sich auch an Entwickler richten. Wenn ich als Entwickler für Backends im Web also den Titel „Balancing Customization and Scalability in SaaS“ lese, dann klingt das für mich nach genau dem richtigen Talk.
Der Talk begann allerdings schon mit einem Satz wie: „Ach so, ich bin kein Entwickler, sondern der CEO, ehemaliger Bänker und ich erzähle euch was zu unserem Unternehmen und unserem Produkt“.

Auch von anderen Teilnehmern hörte ich das Feedback, dass viele Talks und sogar Workshops nach Werbeverkaufsveranstaltung klangen. Beispielsweise hat der Workshop mit dem Titel „AI Architect, AppDev, or AI Enthusiast: We’re accelerating to the next hands-on level with GPUs“ so interessante Sachen gezeigt, wie die beiden Red-Hat-Mitarbeiter durch ihr eigenes Produkt OpenShift durchgeklickt haben, um fertigen Scheiß aufzusetzen.
Nichts, was ansatzweise in die Tiefe geht, äußerst oberflächlicher Müll und viele Produktpräsentationen aus dem Haus des entsprechenden Arbeitgebers oder Sponsoren.

Reaktionen im Publikum: Achselzucken – ist dann halt so, denn es ist den Leuten egal geworden.

Speaker

Ich war bis 2017 selbst in die Organisation des DevFests involviert, deshalb hab ich natürlich noch einen guten Draht zur Orga. Aber wenn ich dann höre, dass es Speaker gibt, die 15 Minuten vor Beginn ihrer eigenen Session diese erst absagen, sträuben sich mir die Nackenhaare. Aber auch hier: es ist den Leuten egal geworden, dass andere Leute von ihnen abhängig sind.

„Weiter“-Entwicklung der Menschen

Erinnert ihr euch noch an die Zeit, in der ihr Überzeugungen hattet? Ich persönlich erinnere mich tatsächlich bis heute daran. Also an meine Überzeugung. Und ich habe sie immer noch. Andere Menschen, die ich getroffen habe und die ich wirklich lange kenne, haben so hart resigniert. Früher hieß es dann: „Meine Produktivität bricht ein, wenn ich mit Hardware/Software XYZ arbeite“.

Heute arbeiten sie mit dieser Hard- und Software.
Der Grund: „Och naja, ich hab das halt gestellt bekommen. Irgendwie hat man sich arrangiert. Ich hab dafür dann das, was ich gerne getan habe, aufgegeben.“
Effizienz? Egal.
Überzeugen? Egal.
Resignation in der Stimme.

Fazit

Die 2020er Jahre werden in Zukunft wohl als „die große Resignation“ bezeichnet, wenn man zurückblickt. Antriebslosigkeit überall. Es ist alles so egal geworden. Distanz zueinander, wohin man schaut. Der Nachwuchs scheut den Kontakt, die „Alten“ hoffen nur noch, dass man sie nicht nervt. Auseinandersetzungen werden komplett vermieden, weil sie mit zu viel Aufwand einhergehen.

Schlimm. Aber es ist den Menschen egal geworden.

Zusammenfassung   (Anklicken zum Anzeigen)

Bitte hör auf, deine Aufmerksamkeitsspanne zu verkürzen, indem du ständig Kurzvideos schaust. Lies einfach den Text und lern wieder, zu verstehen. Nimm dir Zeit! Sonst bist du so dumm, wie die Menschen, die ich hier anspreche.


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