Es ist zu einfach geworden

19.03.2023 11:20
ca. 4 Minuten Lesezeit

Ich war jahrelang überzeugt, jeder könne programmieren lernen.
Ich war jahrelang überzeugt, dass es eine gute Entwicklung sei, dass jeder Dinge ins Internet stellen kann.
Ich war jahrelang überzeugt, dass alles viel zu kompliziert sei und wir es den Benutzern vereinfachen müssen, Dinge zu tun.
Was für eine Fehleinschätzung!

Jeder kann programmieren – nicht

Für mich war Programmieren immer einfach und ich dachte, Menschen können logisch denken. Heute weiß ich, dass logisch Denken für den Großteil der Menschen da draußen eine unmögliche Hürde darstellt. Ich sehe eine mir bis dato unbekannte Software und ich kann sie quasi instant bedienen. Ich sehe Menschen, die seit Jahren die gleiche Software falsch bedienen, weil sie keine Ahnung haben, was sich Entwickler bei einigen Funktionen und Workflows gedacht haben.

Oft sehe ich Entwickler, die Informatik studiert oder eine Ausbildung zur Anwendungsentwicklung hinter sich haben und trotzdem nicht verstehen, warum manche Theorie zwar toll, aber alles andere als alltagstauglich ist. Und dann sind da noch die, die sich damals am C64 mal das Programmieren selbst beigebracht haben, seitdem aber komplett verpasst haben, dass sich die Welt um sie herum weitergedreht hat: „Neue Technologien? Alle Schmutz! Ich mach’ das so, wie ich es immer getan habe!“

Jeder kann Dinge im Internet betreiben – Himmel hilf’!

Seitdem Menschen bei Facebook angekommen sind, wissen wir alle, dass es keine gute Idee ist, dass jeder einfach seine Gedanken öffentlich teilt. Das wurde mit Twitter, Instagram und TikTok nicht besser. Eher im Gegenteil. Kinder und sensiblere Menschen neigen seitdem häufiger zu Depressionen, werden durch falsche Vorstellungen vom Leben in den Suizid getrieben.

So ekelhaft es jetzt klingen mag, aber wir Entwickler sollten es wieder schwieriger machen, Dinge ins Internet zu stellen.
Wir müssen aufhören, den Leuten weiszumachen, dass sie auch Server betreiben können, weil unser geschriebener Assistent das Starten und die Administration so schön einfach macht.
Wir müssen aufhören, den Leuten alles für viel zu günstig hinterher zu schmeißen. Einen Server für 4 Euro im Monat betreiben? Viel zu billig!

Und dann sind da nur Hobby-Admins am Werkeln, die uralte Software betreiben, weil irgendwann mal ein Update für Probleme gesorgt hat. Deshalb treten in deren Köpfen jetzt immer Probleme auf, wenn sie ein Update machen. Und gerne wird dann auch Software verwendet, die schon seit Ewigkeiten nicht mehr weiterentwickelt wurde und schon betreibt man im Jahr 2023 noch Server mit PHP 5 – geht ja nicht anders. Container? Nie gehört und noch nicht 20 Jahre in der Praxis getestet! Hau mir ab mit diesem neumodischen Krempel!

Das klingt jetzt alles danach, als würde ich eine Art „nur die Internet-Elite darf das Internet bestimmen“ etablieren möchte. Mitnichten! Aber die Erfahrung zeigt, dass das Experiment gescheitert ist. Dieser Blogpost wird die Situation auch nicht ändern. Aber wir sollten immer im Hinterkopf behalten, dass nicht jeder in der Lage ist, das Gesamtbild zu sehen, geschweige denn zu analysieren und mitzubedenken. Es nutzen knapp 4,7 Milliarden Menschen im Internet und wir haben 4,7 Milliarden unterschiedliche Horizonte, Meinungen, Wissensstände und vor allem Ambitionen.

Diese Ambitionen sind es am Ende, das Internet jeden Tag ein bisschen unerträglicher machen. Da gibt es Senior-Webentwickler, die noch nie eine Webseite hatten, die den Job nur machen, weil sie damit Geld verdienen. Sich damit beschäftigen? Nee, lieber nicht! Das ist, als hätte ein Auto-Mechaniker-Meister noch nie einen Motor auseinander- und wieder zusammengebaut und dabei mal getestet, was passiert, wenn man einige Komponenten verändert oder weglässt.

Man muss für Erfahrung auch mal auf die Nase fallen, daraus lernen wir Menschen. Aber wir tun alles dafür, dass die Menge an negativen Erfahrungen sich immer weiter verringert und wir dadurch keine konfliktfähigen Menschen mehr bekommen. Technische Assistenten nehmen den Menschen das Denken ab und dann kommt es, wie es mir schon vor 20 Jahren bei einem Anruf eines Benutzers erging: „Mein Computer geht nicht!“ - „Ist der Monitor eingeschaltet?“ - „Ja!“ - „Dann schalten Sie ihn mal aus!“ - „Oh, jetzt geht’s!“


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