Ich wusste ja, dass es bereits schlimm ist, aber so schlimm?
Mein Fehler war wohl, dass ich Zeit hatte, ein paar Minuten durch die LinkedIn-Timeline zu scrollen und dort die Posts zu lesen. Hier mal eine kurze Zusammenfassung der Posts, die durchschnittlich in meiner Timeline angezeigt werden.
Leider kann man auf der Plattform nicht ausschalten, dass man Posts angezeigt bekommt, auf denen jemand aus der Kontaktliste geliked oder kommentiert hat.
Die AI-Kasper
Der Großteil der Timeline besteht aus AI-Enthusiasten. Man merkt direkt, dass es um die natürliche Intelligenz der Autoren nicht so gut steht und sie deshalb auf künstliche Intelligenz (auch bekannt als „statistische Daten gepaart mit einer großen Menge if-else
Blöcken“) zurückgreifen müssen.
Ein Post wollte den Lesern sogar zeigen, wie der perfekte AI-Arbeitsplatz aussieht und dass man ja sogar einen dedizierten Monitor vom Dual-Monitor-Setup nur für die AIs verwendet. Das ist an Lappigkeit wirklich kaum zu überbieten.
Aber es sind eh immer dieselben Klappsköppe, die in der Berater-Spirale gefangen sind. Erst waren sie SEOs, dann Social-Media-Berater und jetzt AI-Kasper. Und bis heute reißen sie den durchschnittlichen IQ der Bevölkerung nach unten.
Die Kalenderspruch-Aufhübscher
Sie bilden eine Symbiose mit den AI-Kaspern und hangeln sich von Lebensweisheit zu Lebensweisheit und nutzen irgendwelche KIs, um einen Zweizeiler in 15 Absätze ausformulieren zu lassen. Dazu noch ein aktuelles Bild, welches man aus der reichhaltigen Menge der Pressefotos der Olympischen Spiele dranklatscht und schon hat man wieder seine 500 Likes zusammengesammelt.
Die Jeden-und-alles-Liker
Noch weniger Intelligenz als für die Nutzung einer KI benötigt man, um sein Adressbuch zu füllen, indem man jeden Post und nahezu jeden Kommentar mit einer Reaction versieht – „Dit jibt Reichweite, wa?“. Und es kleistert die Timelines anderer Kontakte dicht.
Auf Nachfrage bekommt man gerne die Bestätigung, dass der Post ja so eine Bereicherung für einen selbst war. Ich empfehle da eher einen Besuch beim Psychiater statt der LinkedIn-Timeline.
Die Projektmanager (inkl. Scrum- und Kanban-Master)
Alles muss agil sein und da gibt es keine zweite Meinung und wenn es möglich wäre, müssten Scrum und Kanban in jedem Winkel des täglichen Lebens eingeführt werden. Und dann bewerten wir erst mal mit Storypoints, wie lange wir für das Umschalten der Ampel im Straßenverkehr brauchen werden.
Ich würde ja eher Folgendes vorschlagen:
- weniger (zer-)planen
- mehr machen
Leider gibt es nicht genügend Baseball-Schläger, um diesen Kaspern einzuprügeln, dass sie quasi der Indiana Jones in „Jäger des verlorenen Schatzes“ sind: sie haben einfach (fast) keinen Einfluss auf ein Projekt, weder bei der Planung, noch bei der Umsetzung, der Finalisierung und schon gar nicht bei der anschließenden Betreuung.
Irgendwie traut sich auch niemand, diesen Leuten zu erklären, dass sie oft einfach in die „Manager-Rolle“ wegbefördert wurden, weil sie zu lange dabei sind, um sie wegen Nutzlosigkeit zu entlassen. Dafür müsste das Unternehmen nämlich zu weit die Brieftasche öffnen.
Die Coaches
Tschakka, du schaffst es!
So hieß es früher von Coaches. Heute sind es Leute, die jedem Trend hinterherlaufen und jedem Business-Kunden das erzählen, was seine eigenen Mitarbeiter ihm schon seit Jahren predigen. Aber auf die muss man ja nicht hören, sonst hätte man ja mehrere tausend Euro sparen können.
Sie zeigen auf LinkedIn selbst gemalte Flipchart-Bildchen, deren Inhalt man sich nach nur 5 Sekunden nachdenken hätte denken können oder noch besser, jeder bereits so schon gehört hat. Nur mit anderen Worten. Aber wer braucht schon abstrakte Denkfähigkeiten, um auf die Schlussfolgerung selbst zu kommen?
Lass uns mal lieber ein Meeting mit Coach machen, in dem er uns erzählt, wie man effektive Meetings durchzieht. Am besten noch mit Zitaten von Steve Jobs oder Elon Musk.
Mein Vorschlag: Meeting absagen und einfach keine Zeit verschwenden.
Die Hyper-Erfolgreichen
Laut deren Timeline und anhand der vielen Success-Stories, die sie posten, müssten sie im Geld schwimmen. Sie müssten mega-erfolgreich sein, weil sie als <Random Jobbezeichnung> die Unternehmen, die sie beraten oder für die sie arbeiten, so erfolgreich gemacht haben.
Die Unternehmen kennt lustigerweise kaum jemand außerhalb der eigenen Bubble, so erfolgreich sind sie. Die Unternehmen melden auch recht bald Insolvenz an oder entlassen mehr als die Hälfte der Mitarbeiter. Das ist Erfolg.
Oft ist der größte Erfolg dieser Leute, dass sie gerissen genug waren, jemanden davon zu überzeugen, sie zu engagieren und dann die Rechnung am Ende auch noch zu bezahlen.
Die Weltverbesserer
Früher sind sie nur auf Demos zu finden gewesen. Heute hängen sie auf LinkedIn rum und benutzen jeden Strohhalm (natürlich nur aus Pappe, Glas oder, wenn es nicht anders geht, aus recyceltem Metall), um lange Geschichten zu erzählen, wie gefickt wir alle sind.
Da wird jede Story eines jeden Unternehmens extrem weit aufgebauscht, weil sie jetzt 0,00001% weniger Strom verbrauchen und wie nachhaltig sie doch jetzt sind. Hier noch ein paar Statistiken aufgehübscht, von Graphen der untere Rand abgeschnitten, damit der Unterschied deutlicher wird und dann wird nach Likes und Kommentare gegeiert, was das Zeug hält.
Die Weltreisenden
Entweder hassen sie die Weltverbesserer oder sind sogar selbst welche, aber fliegen weltweit auf jede Konferenz, auf denen sie gerade zwei Leute noch nicht kennen, nur um ihr Netzwerk zu erweitern.
Von diesen Reisen wird natürlich jedes Foto gepostet und mit gehirnschwangeren Texten ausgeschmückt und gepostet, in denen die Nachhaltigkeit, die absolut mega-mäßig riesigen Learnings und die Großartigkeit der eigenen Person nochmal betont wird.
Fallen euch noch weitere Typen ein, die eure Timeline in diesem Business-Netzwerk verstopfen?
Dann lass es mich in den Kommentaren wissen.
Ich habe es die letzten Tage schon nicht getan und werde es auch weiterhin nicht tun: beleidigende Kommentare, die sich hinter Anonymität verstecken, freischalten. Gebt ihr euren richtigen Namen an, überlege ich es mir. Alles, was per signierter E-Mail eingeht, genießt sowieso das Privileg, veröffentlicht zu werden. 😉
Aber ich liebe es, wie die getroffenen Hunde in die Kommentare bellen.
Zusammenfassung
Bitte hör auf, deine Aufmerksamkeitsspanne zu verkürzen, indem du ständig Kurzvideos schaust. Lies einfach den Text und lern wieder, zu verstehen. Nimm dir Zeit! Sonst bist du so dumm, wie die Menschen, die ich hier anspreche.
Kommentare
33dBm
Alles ist so hip, so geil, so gut gelaufen wie nie.
Gemeinsam haben wir was unglaubliches geschafft, eine Unmöglichkeit für ein Foto mit Daumen hoch drapiert. Die Zusammenarbeit war so befruchtend und der Output phänomenal.
Um was es bei dem Projekt ging, ist für den Selbstdarsteller egal.
Irgendwas, was niemand versteht, ist dafür ideal und der Selbstdarsteller kann auf jede Menge Lob und Likes hoffen.
Ralf
Kathrin
seewolfbarney
Typopartner
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