Menschen nicht bereit für das Internet - Teil 1

12.09.2023 09:14
ca. 4 Minuten Lesezeit

Mir wurde neulich ein Artikel in die Timeline gespült, der mich ziemlich aufgeregt hat.

Es geht darum, dass sich der Autor dazu entschieden hat, BlueSky als Alternative zu Twitter zu nutzen. Das ist jetzt erst einmal nicht schlimm, aber die Gründe, warum es nicht das Fediverse, welches hier wieder nur als „Mastodon“ bezeichnet wurde, geworden ist, haben mich staunen lassen.

Komplizierter Anmeldeprozess

Einer der negativen Gründe, der offenbar gegen das Fediverse spricht, ist der angeblich komplizierter Anmeldeprozess. Jetzt bin ich doch wirklich erstaunt.

Nach dem Bestätigen der Regeln für einen Server, gibt man einen Benutzernamen, eine E-Mail-Adresse und ein Passwort ein. Das ist jetzt nichts, was man nicht auch bei Twitter oder BlueSky angeben muss. Dass es danach noch eines Klicks eines Links in der Bestätigungs-E-Mail bedarf, ist jetzt keine Komplexitätsstufe, die man einem User zumutet. Das ist ein wirklich alltäglicher Prozess, der aus dem gesamten Internet bekannt ist.

Verteiltes Netzwerk

Der Punkt in der Auflistung, der mich wirklich aufgeregt hat, war „unterschiedliche Instanzen (häh?)“. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass den Menschen nicht bewusst ist, dass das Internet dezentral ist. Von jemandem, der ein Blog betreibt, erwarte ich ein gewisses Wissen darüber, dass eine Verteilung von Inhalten im Web gewisse Vorteile bringt.

Man stelle sich vor, wir hätten in Deutschland nur einen Hosting-Provider und dieser fiele aus. Wahrscheinlich wäre die Hälfte der Bevölkerung auf der Straße, um für eine Dezentralisierung zu demonstrieren. Genauso verhält es sich mit dem Fediverse. Wie oft haben wir geflucht, weil Twitter wieder down war? Oder Facebook zusammen mit Instagram? Das ist im Fediverse so nicht möglich.

Aber dafür muss sich ein User im Vorfeld für eine Instanz entscheiden oder selbst eine betreiben, so wie ich es mache. Für den Anfang ist es einfacher, wenn man eine Instanz wählt, die zu einem passt. Ob es sich dabei um die thematische Ausrichtung handelt oder weil ein Freund dort ist, ist erst einmal nebensächlich. Wichtig ist nur, dass man nicht unbedingt die größten zwei oder drei Instanzen wählt.

Kein Algorithmus

Der Teil mit „ohne jeden Algorithmus gestaltete sich der Einstieg schwer“ war allerdings wirklich schlimm.

„Der Algorithmus“ auf Twitter (heute „X“) ist wirklich die Pest. Er dient dazu, Menschen auf der Plattform zu halten. Durch das Halten kann man mehr Werbung ausspielen und mehr Geld verdienen. Das ist wie auf TikTok: spielt man mehr Posts in die Timeline, die dem User wahrscheinlich gefällt, ist er mehr gefangen. Zwischendrin probiert man mal andere Themen, um daraus zu lernen.

Es ist sogar gewollt, dass es dies im Fediverse nicht gibt. Es gibt da draußen schließlich noch andere Dinge, auf die wir uns alle konzentrieren sollten. Die Abhängigkeit von Medien sollte gerade dem Autor, der Lehrer und Schulleitung ist, bewusst sein. Er hat schließlich den ganzen Tag mit den Opfern dieser Abhängigkeit zu tun. Vor allem der inzwischen durch Algorithmen bedingten, sehr kurzen Aufmerksamkeitsspannen dieser Opfer.

Der Satz „Wer Twitter eher zum Konsumieren nutzte, verspürte wenig Lust, sich in Mastodon einzuarbeiten.“ ist dabei spannend. Wenn ich im Wartezimmer beim Arzt sitze, bin ich nie gelangweilt durch meine Fediverse-Timeline. Entweder mache ich etwas verkehrt oder ich mache etwas genau richtig. Aber ein kurzer Blick auf das Twitter-Profil zeigt, wo hier das Problem ist.

Möchtegern-Social-Media-Profis

Seitdem ich auf Twitter bin, gab es dort schon immer ein Bestreben bei den Möchtegern-Social-Media-Profis: Following-Follower-Ratio.   Auch der Autor des Blogs ist jemand, der so wenig Leuten wie möglich folgt, dabei aber darauf setzt, dass ihm besonders viele Leute folgen. Eine typische Broadcaster-Mentalität. Ein Nachrichtensprecher aus dem Fernsehen fänd’ es auch langweilig, wenn er sich darauf verlässt, dass ihm die Kamera, in die er reinredet, andere Nachrichten liefern müsste. Durch diese Ratio wird man allerdings als besonders „wichtig“ angesehen.

Im Fediverse kann man sich auch eigene Bubbles schaffen: Man folgt Leuten, setzt sie auf Listen und könnte über diese Listen die Blasen auseinanderhalten. Aber man muss ihnen folgen. Und das ist auch gut so. Ohne den Follow würden die Posts der Accounts nicht zur eigenen Instanz übertragen werden. Auch das ist gut so. Nicht alle Instanzen im Internet müssen alles kennen. Das skaliert nicht.

Inhalte verbreiten sich im Fediverse über Boosts/Reposts. Das ist natürliches und organisches Wachstum. Es gäbe den Fedifinder, über den man seine anderen Followings und Follower wiederfindet. Es ist recht einfach, dem Fedifinder mitzuteilen, wie man auf anderen Plattformen zu finden ist.

Keine kritische Masse

Und dann war da noch „Keine kritische Masse. Kein TippingPoint.“. Jetzt die große Frage: was genau hat ein Kipp-Punkt mit dem Fediverse oder BlueSky zu tun? Das ist vielleicht aber auch wieder nur ein Mode-Wort, welches ziemlich oft im Text verwendet wurde. Begründung ist wahrscheinlich wieder: „Sagt man heute so!“

Die nicht vorhandene kritische Masse suche ich noch. Mit 14 Millionen Usern ist das Fediverse nicht gerade klein und aktuelle Auswertungen zeigen, dass BlueSky deutlich kleiner ist, als das Fediverse.

Ich weiß, dass meine Followings, von denen ich im Fediverse weniger habe als auf Twitter, im Fediverse deutlich aktiver sind.


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