Wir brauchen keine Klassensprecher...

In der Sonntagsausgabe der FAZ erschien heute ein Artikel mit dem Thema „Als das Internet seinen Klassensprecher an den Kommerz verlor“.

Es geht darum, dass Sascha Lobo als Leitfigur der Web-2.0-Szene Werbung für Vodafone macht und dass es schon während der Live-Pressekonferenz Spott und Häme von Power-WebZweiNullern gab. Ja natürlich gab es die: Weil sie nicht selbst dabei waren.

Diese ganze Missgunst gegen die Teilnehmer dieser Werbekampagne sind meiner Meinung nach sehr lächerlich. Es stand den Leuten ja sogar frei, im Werbespot aufzutauchen. Dafür hätten sie nur, wie angekündigt, nach Berlin fahren müssen, um in der Menschenmenge gefilmt zu werden.

Natürlich kann auch nicht jeder als eine Art Leitfigur auftauchen, wie Sascha es tut, aber so ist das nunmal. Und es wird den Leuten in Zukunft viel mehr Zeug vor die Füße geworfen, worüber sie sich aufregen können. Es wird andere Werbespots geben, die über SocialMedia funktionieren sollen. Und sie werden wieder auseinandergepflückt werden.

Dann wird es jemand Anderen treffen und wieder wird es angeblich beim eigentlichen Zielpublikum nicht punkten können.

Zitat aus dem Artikel:

Dass gerade Vodafone bei vielen Bloggern einen schlechten Ruf genießt, weil dem Unternehmen nachgesagt wird, beim Errichten der umstrittenen Internetsperren besonders kooperativ gewesen zu sein, zeugt zwar nicht unbedingt von der Konsequenz Lobos, der sich als Online-Berater der SPD noch deutlich gegen die Stoppschilder im Netz ausgesprochen hatte.

Hier werden wieder Äpfel mit Birnen verglichen. Was zum Henker hat denn die politische Ausrichtung einer Person mit einer Werbekampagne des Unternehmens zu tun? In diesem Fall war Sascha als bekannter Blogger dort und nicht, um irgendwas zum Thema „Sperren gegen Kinderpornographie“ zu sagen. Und diejenigen, die bei Vodafone was zum Thema Zensur zu sagen hätten, haben mit Sicherheit rein gar nichts mit der Werbung zu tun.

Aber es geht um mehr: Mit schwach verklausulierten Prostitutionsvorwürfen werden Lobo Geldgier und Käuflichkeit vorgeworfen, die schlimmste Befürchtung aber lautet: „Blogger sind im Mainstream angekommen, der Ausverkauf der Blogosphäre hat begonnen.“

Der „Ausverkauf der Blogosphäre“ ist nichts Neues mehr. Das wurde schon gebrüllt, als Robert Basic seinen Blog versteigert hat und ist eigentlich die schwachsinnigste Aussage von Leuten, die einfach keine Ahnung haben. Blogs funktionieren eben nicht wie „Macht’s einer - machen’s alle“, sondern eher wie „Es kommt das, was ihr draus macht“.

Der Longtail lebt doch davon, dass jeder anders ist und jeder seine freie Meinung sagen darf. Wenn man damit nun mal bekannt wird, macht man eben das, was man tun muss. Wieviele Blogger mussten schon, weil ihr Blog sehr gut besucht war, größere Server anmieten und um das zu bezahlen, Werbung schalten? Ist das etwa kein Ausverkauf? Prostituiert man sich damit etwa nicht?

Und wenn man dann ins Fernsehen eingeladen wird, weil man zu einem Thema mal was gesagt hat, wass gut ankam und dadurch Berühmtheit erlangt, ist das dann auch schon Ausverkauf? Oder erst wenn man aus seinem Hobby ein Beruf macht? Wirklich ein zweischneidiges Schwert, sich über so etwas aufzuregen. Am allerbilligsten finde ich aber, die Aufregung über seine Frisur zu bestärken. Hä? Das ist doch echt das Billigste was man tun kann.

Ich versuche immer mir vorzustellen, wie das ist, wenn ich da an seiner Stelle säße. Würden sich die Leute über meine Plauze aufregen? Würden sie sich aufregen, dass ich eigentlich Entwickler bin und damit gar nicht zum Web-2.0 gehören kann, weil wir ja sowieso nur eingepfercht in Kellern sitzen und die Realität gar nicht kennen?
Ich bitte euch: Sowas hat man in der Grundschule gemacht. Hat eigentlich mal jemand von den Möchtegern-Experten versucht, die Gedanken hinter der Kampagne zu sehen? Ich bin seit Weihnachten 1998 Kunde bei Vodafone (damals noch Mannesmann D2) und eigentlich nur dort geblieben, weil mir T-Mobile einfach nicht gefällt und E-Plus das schlechtere Netz hat. Und O2 kann ich einfach nicht so richtig gut zuordnen. Aber das lag nicht an der Werbung, sondern an meiner Trägheit.

Bisher hat mich die Werbung nicht wirklich angesprochen. Sie hatten bisher keine klaren Ziele genannt, wer eigentlich ihre Kunden sein sollen. Durch die neue Werbung und den Slogan weiß ich wenigstens, dass jetzt die „Generation Upload“ genannte Zielgruppe gemeint ist. Also Leute, die immer und überall versuchen, online zu sein, um sich mitzuteilen. Die Wahl, wie sie das mitteilen, also die Werbung, ist wie immer reine Geschmacksache.

In meinen Augen ist das ein Fortschritt zu früher. Dass die Tarife für manche Uploads noch nicht da sind, wird sich wohl je nach Benutzung und Kundenwünschen ändern. Aber ich denke, da brauchen wir alle nur die nötige Geduld. Sie sprechen uns schon mal direkt an, sie hören und schon mal zu, jetzt lasst also Vodafone die Zeit, auf unsere Wünsche einzugehen.

Und um nochmal auf die Überschrift einzugehen: „Lieber Herr Staun von der FAZ: Sascha Lobo ist nicht der Klassensprecher des Web 2.0. Jeder im Web ist sein eigener Sprecher, sonst wäre es nicht das Web 2.0 aka Mitmachweb. Vielleicht sollten Sie erstmal selbst teilnehmen, bevor Sie Ihre Stimme angeblich an einen Klassensprecher abgeben. Danke!“.

Zusammenfassung   (Anklicken zum Anzeigen)

Bitte hör auf, deine Aufmerksamkeitsspanne zu verkürzen, indem du ständig Kurzvideos schaust. Lies einfach den Text und lern wieder, zu verstehen. Nimm dir Zeit! Sonst bist du so dumm, wie die Menschen, die ich hier anspreche.


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